Es gibt Dinge, auf die man gut aufpassen sollte.

Ich selbst habe ja keine Kinder, vielleicht auch gut so. Denn die Erzählerin dieser kleinen Geschichte, scheint mir ein schon ein wenig durchgeknallt zu sein. Ob das an ihren pubertierenden Zwillingen liegt? Und wonach um alles in der Welt sucht sie eigentlich?

Aber macht euch einfach selbst ein Bild.

Vermisst

 

„Weg. Keine Ahnung, wo es abgeblieben ist.“

„Hast du im Kühlschrank nachgesehen?“

„Na klar. Wie soll es denn dahin gekommen sein?“

„Bei dir ist alles möglich. Denk nur an den Autoschlüssel in der Tiefkühltruhe.“

 

Zugegeben, Selbstgespräche lösen bei Dritten manchmal Beklemmung aus, aber im Augenblick bin ich allein. Obwohl - die Wände in diesem Haus sind kaum dicker als Pappe. Meine Nachbarin lauscht sicher öfter mal mit dem Wasserglas. Funktioniert das eigentlich? Ich schnappe mir das letzte saubere Glas aus dem Küchenregal, halte es an die Wand und presse die Ohrmuschel dagegen. Ohrenbetäubende Stille. Hm. Es scheint wohl doch nur ein Gerücht zu sein. Oder es ist niemand zu Hause.

 

Ich lasse mich immer so leicht ablenken. „Konzentrier‘ dich“, ermahne ich mich.

 

Wo könnte es sein? Ich denke angestrengt nach, eine Höchstleistung der Stirnmuskulatur. Das gibt Falten. Ob es jemand geklaut hat? Soll schon vorgekommen sein. Da gab‘s mal was im Fernsehen, ist Jahre her, ich erinnere mich kaum. Vielleicht war es auch nur eine Kinderserie.

 

Mist, jetzt piept die Waschmaschine. Ich haste ins Bad, zerre die Handtücher aus der Trommel und stopfe sie in den Trockner. Auf dem Rückweg fällt mein Blick auf die Funkuhr. Das Ding geht mordsgenau. Exakt jede Sekunde zuckt der Sekundenzeiger vorwärts. Nur wenn die Zeit umgestellt wird, dann rasen die Zeiger einmal rund um das Ziffernblatt, als gäbe es dafür einen Preis zu gewinnen.

 

Eine halbe Stunde noch, dann kommen Knall und Fall aus der Schule. Natürlich heißen sie weder Knall noch Fall. Aber seit das mit der Pubertät begonnen hat, erscheinen mir diese Namen passender als Jan und Julia.

 

Zwillinge, ausgerechnet Zwillinge, dachte ich damals, als der Arzt mir die beiden Erdnüsse auf dem Ultraschallbild gezeigt hat. Gott, was habe ich mich gesorgt. Allein mit zwei Babys klarzukommen, erschien mir unmöglich.

 

Pah, alles Pillepalle. Ich öffne das Küchenfenster.

„Sollte derjenige, der die Pubertät erfunden hat, das jetzt hören“, brülle ich hinaus, „dann soll er aufpassen, dass er nicht zufällig bei mir klingelt.“ Zur Sicherheit lege ich nach: „Zieh‘ dich warm an!“ So, dem habe ich es gegeben.

 

Ob ich mal im Keller nachsehe? Die Zeit rennt. Bis die Wohnungstür hinter den Zwillingen Knall auf Fall ins Schloss hämmert, sollte ich es wiedergefunden haben. Andernfalls wird der Tag zur Tortur.

 

Ich könnte natürlich flugs die Schlösser austauschen lassen...

 

Pfui, solche Gedanken geziemen sich nicht für eine Mutter.

 

Also nochmal, wie war das mit dem Keller? Obschon... Im Grunde kann es da nicht sein. Himmel, im Keller, das Klischee in Reinkultur. Trotzdem, besser, ich sehe nach.

 

Der Letzte im Keller war Knall und logischerweise hat er den Schlüssel verschlampt. Teenager!

 

Bis ich den Kellerschlüssel gefunden habe, vergehen weitere fünf Minuten. Allmählich gerate ich in Panik. Ich muss mich zwingen, die beiden Stockwerke langsam hinabzusteigen. Nicht wegen der Nachbarn, nein, ich habe keine Lust über herumliegende Sneakers zu stolpern. In diesem Haus wohnt eine ganze Horde Pubertierender.

 

Die Tür zur Kellertreppe quietscht wie nichts Gutes. Als mir die Spinnweben ins Gesicht wehen, weiß ich, dass ich mir den Weg hätte sparen können. Aber nun bin ich hier, da kann ich ebenso gut nachsehen.

 

Ich sperre die Lattentür auf und stehe im Dunkeln. Ein Schritt vor und... „Aua“. Ich bin gegen etwas Hartes gelaufen. Verdammt, tut das weh. Es treibt mir die Tränen in die Augen und die Wut in den Bauch. Nach Lachen ist mir nicht zu Mute.

 

Das reicht als Beweis: Hier finde ich es mit Sicherheit nicht. Ich schleppe mich zurück nach oben. Kaum erreiche ich hinkend die Wohnungstür, als mich ein herangaloppierender Geistesblitz beinahe von den Beinen reißt. Also, er galoppiert nicht wirklich, aber er kommt mindestens so plötzlich, wie ein durchgehender Gaul.

 

Gestern Nachmittag, blitzt der Gedanke auf, da habe ich doch auf dem Speicher Wäsche aufgehängt. Vielleicht hat es sich dabei verdrückt? Wundern würde es mich nicht, der Regen schlug auf das Dachfenster und es war so dunkel und kalt, dass es mich schauderte. Ich wollte weg, so schnell wie möglich.

 

Heute ist die Stimmung hier oben ganz anders. Ein einzelner Sonnenstrahl lugt durch das Fenster und scheint mir ins Gesicht. Ich blinzle, geblendet von der Helligkeit. Und da sehe ich es, versteckt hinter einem Holzbalken. Es grinst verschmitzt zu mir hinüber.

 

Ehe es abhauen kann, bin ich bei ihm. Ich greife danach, erwische es und werfe es mir über den Kopf. Sofort verspüre ich wohlige Wärme auf meinem Gesicht. Es kitzelt in den Mundwinkeln.

 

Von unten poltern die Zwillinge die Treppe hinauf. Puh, das war knapp.

 

„Nächstens passt du besser auf“, ermahne ich mich und zu ihm sage ich: „Dass du mir das nicht wieder tust!“

 

Im Flur hängt ein Spiegel. „Ich habe dich vermisst“, sage ich ernst.

 

Mein Lächeln jedoch schmunzelt und zwinkert mir zu. …

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Kommentare: 5
  • #1

    Claudia Junger (Freitag, 29 Juni 2012 10:34)

    Hallo Regine,

    was für eine zauberhafte Geschichte. Ich wünsche dir ein schönes WE.

    Liebe Grüße

    Claudia (die 2 pubertierende Töchter hat und gleich auch mal suchen geht....)

  • #2

    Claudia Junger (Freitag, 29 Juni 2012 10:35)

    Weia, Regina muss es heissen. Vertippt. Sorry.

  • #3

    Regina Mengel (Freitag, 29 Juni 2012 10:36)

    Passt schon, Claudia - freut mich, dass dir die Geschichte gefällt und viel Glück bei der Suche. ;-)

  • #4

    Indira Weber-Gaspar (Samstag, 30 Juni 2012 01:06)

    Liebe Regine!
    Es ist wirklich süß geschrieben.... doch als Zwillingsmama, deren Zwillinge schon durch die Pupertät durchsind, muss ich anmerken... Mädchen und Junge haben die n i e gmeinsam, wie auch sämtliche Kinderkrankheiten, sondern schön hintereinander, damit MAMA auch schön lange was von hat... LG und weiter so von Indira

  • #5

    Tonja Züllig (Sonntag, 01 Juli 2012 12:30)

    Eine hübsche Geschichte, Regina. Vielleicht hast du ja Lust bei unserer nächsten Zwillingsgeschichten-Ausschreibung mitzumachen ;-).
    Herzliche Grüsse
    Tonja